90 Jahre Barmer Theologische Erklärung

Vor 90 Jahren, Ende Mai 1934, wurde die Kirche zu ihrer Sache gerufen. Wenn wir uns in diesen Tagen an die Veröffentlichung der Theologischen Erklärung von Barmen 1934 erinnern, rufen wir uns die Umstände, unter denen sie – unter viel Ringen und nach intensivem theologischem Austausch – entstanden ist, noch einmal ins Gedächtnis:

Damals, Anfang 1934, zogen bereits die dunklen Schatten über Deutschland herauf, die noch so viel Unheil mit sich bringen würden. Viele haben das so früh nach Hitlers Machtübernahme noch gar nicht recht bemerkt, wenn man nicht gerade Jude oder Kommunist war; die Kirche aber bekam es an einigen Stellen durchaus auch schon zu spüren. Zum einen, weil es der NS-Ideologie nicht in den Kram passte, dass es da in ihrem Staat eine Einrichtung gab, die ihre eigenen Regeln und Maßstäbe hatte, die sich als Organisation nicht so einfach vereinnahmen ließ; zum anderen aber auch, weil es den Machthabern sehr wohl klar war, dass die christliche Botschaft eine gewisse Widerspenstigkeit beinhaltet, eine kritische Distanz zu den Dingen dieser Welt und ihren Machtstrukturen.

Ja, man muss sogar sagen: Vielleicht haben die Machthaber das klarer gesehen, als es die Verantwortlichen in den Kirchen selbst wahrhaben wollten. Denn, das ist uns heute sehr wohl bewusst: Anfangs waren ja große Mehrheiten in der Kirche durchaus wohlwollend und aufgeschlossen dem neuen Regime gegenüber. Von politischem Widerstand kann in diesen Anfangsjahren gar nicht ernsthaft die Rede sein. Aber dann versuchten Hitler und seine Vasallen zunehmend in die Kirche hineinzuregieren, wollten Strukturen einrichten, die den staatlichen Strukturen entsprachen, mit Führerprinzip, Arierparagraph und so weiter. Und da wurden etliche dann doch – Gott sei Dank, muss man sagen – hellhörig. Wer hat in der Kirche das Sagen?, wurde gefragt. Und: Nach welchen Maßstäben haben wir uns zu organisieren? Was soll in der Kirche gelten, woran sollen wir uns orientieren?

Und so kam es im Jahr 1934, nicht weit von hier, in Barmen-Gemarke, zu der ersten reichsweiten Synode der Bekennenden Kirche in Deutschland – ein loser Verbund von Vertretern der Landeskirchen, die zu dem Zeitpunkt zwar noch viel trennte und die sich in vielen Dingen, auch politisch, ganz und gar nicht einig waren, die aber – und noch einmal muss man sagen: Gott sei Dank! – in einem Punkt einig wurden: In der Kirche haben wir auf Gottes Wort zu hören und nicht auf staatliche Einflüsterungen oder Vorgaben oder angebliche Offenbarungen im Volkserleben.

Am Ende dieser aufregenden drei Tage trat dann die BTE ans Licht der Öffentlichkeit, die mit ihren sechs Thesen festhielt, was in der Kirche gelten soll und was abzulehnen ist, wenn sie, die Kirche, denn wirklich nach Gottes Wort zu leben versucht. Hier also noch einmal die sechs Thesen, die in Bestätigung und Widerspruch und fundiert jeweils durch ein biblisches Wort die Kirche zu ihrer Sache zu rufen versuchten. Sie wurden später von der Rheinischen Kirche in die Reihe ihrer Bekenntnissse aufgenommen und findet sich auch in unserem Gesangbuch (EG 858) abgedruckt:

Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten:
1. Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Joh 14,6)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und Räuber. Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden. (Joh 10,1.9)
Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.
2. Durch Gott seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung. (1.Kor 1,30)
Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.
3. Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist. (Eph 4,15.16)
Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.
4. Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. (Mt 20,25.26)
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen.
5. Fürchtet Gott, ehrt den König. (1.Petr 2,17)
Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.
6. Jesus Christus spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt 28,20)
Gottes Wort ist nicht gebunden. (2.Tim 2,9)
Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.
Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche erklärt, dass sie in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die unumgängliche theologische Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der Bekenntniskirchen sieht. Sie fordert alle, die sich ihrer Erklärung anschließen können, auf, bei ihren kirchenpolitischen Entscheidungen dieser theologischen Erkenntnisse eingedenk zu sein. Sie bittet alle, die es angeht, in die Einheit des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zurückzukehren.
Verbum Dei manet in aeternum.

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Und hier gibt es die Predigt zum 90. Geburtstags der BTE aus der Kirche Hünger vom 2. Juni 2024 (Pfr. V. Lubinetzki): https://www.ekwk.de/files/Barmen-1934-2024.pdf